Eine kleine Mutation kann schwere Seheinschränkungen verursachen. Was dabei vor sich geht und wie die Mutation vererbt wird, erklären wir an den Beispielen der Gene RPE65 und USH2A.
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Alle vererbten Netzhautdystrophien werden durch Mutationen in bestimmten Genen verursacht. Diese Gene sind an der Entwicklung und Funktion von lichtempfindlichen Zellen (Photorezeptoren) und anderen Zellen in der Netzhaut beteiligt.1 Mehr als 260 Gene wurden mit erblichen Netzhauterkrankungen in Verbindung gebracht, von denen angenommen wird, dass sie die Ursache für 60 bis 70 % aller Fälle sind.2,3
Bei einigen Arten von erblichen Netzhauterkrankungen liegt die Ursache in einer einzelnen Mutation in bestimmten Genen. Anderen Arten, etwa Retinitis pigmentosa und die Lebersche kongenitale Amaurose, kann eine Vielzahl unterschiedlicher genetischer Veränderungen zugrunde liegen – darunter auch Veränderungen im Gen RPE65, die inzwischen gut erforscht und über Gentests nachweisbar sind.
Die Veränderungen im Gen RPE65 können beispielsweise bei 2 % der Patienten mit Retinitis pigmentosa und bei 16 % der Patienten mit Leberscher kongenitaler Amaurose nachgewiesen werden.4
Häufige Phänotypen bei erblichen Netzhauterkrankungen
Der Begriff Phänotyp fasst die sichtbaren Eigenschaften eines Organismus zusammen und stellt somit das Erscheinungsbild eines Merkmals dar. Zu den häufigen Phänotypen bei erblichen Netzhauterkrankungen zählen Retinitis pigmentosa, Lebersche kongenitale Amaurose, Zapfen-Stäbchen-Dystrophie, kongenitale stationäre Nachtblindheit und Makuladystrophie.
Das folgende Schaubild zeigt ein Mengendiagramm, das die genetische Überlappung zwischen Retinitis pigmentosa und anderen erblichen Netzhautdystrophien zusammenfasst. Jeder Kreis stellt eine spezifische klinische Diagnose dar. Die in den Überlappungsbereichen aufgeführten Gen-Bezeichnungen weisen darauf hin, dass Mutationen in diesen Genen zu unterschiedlichen Phänotypen führen können. Die mit einem Sternchen markierten Gene sind Kandidaten-Gene für eine nicht-syndromische Retinitis pigmentosa.
Nachbau: Verbakel SK, van Huet RAC, Boon CJF et al. Non-syndromic retinitis pigmentosa. Progress in Retinal and Eye Research 2018; 66: 157-186.
Beispiel RPE65: Wie dieses Gen unser Sehen beeinflusst – und wie es vererbt wird
In einem gesunden Auge verwandeln die Sehzellen in der Netzhaut (Retina) Lichtreize in elektrochemische Impulse. Diese Impulse werden über den Sehnerv an das Gehirn weitergeleitet. An diesem Prozess ist das Protein RPE65 wesentlich beteiligt. Dieses wird basierend auf den Informationen aus dem Gen RPE65 gebildet.
Ohne ausreichende Mengen des gleichnamigen Protein RPE65 können jedoch die lichtempfindlichen Sehzellen im Auge nicht richtig arbeiten. Sie sterben nach und nach ab, sodass es zur Erblindung kommen kann.5
Angelegt wird eine mögliche Anfälligkeit für eine erbliche Netzhauterkrankung im Erbgang: Jeder Mensch hat zwei Kopien von jedem Gen – eine vom Vater und eine von der Mutter. Tragen beide Elternteile ein beschädigtes Gen RPE65 in sich, und geben beide genau diese defekte Kopie an ihr Kind weiter, so weist das Kind einen Defekt in beiden Kopien des Gens RPE65 auf (autosomal-rezessive Vererbung). Da es keine korrekte Genkopie gibt, auf die die Zellen zur Herstellung des Proteins zurückgreifen können, ist die Bildung des Proteins RPE65 gestört.
Bei einem von 200.000–500.000 Menschen kommt es zu Veränderungen in beiden Kopien des Gens RPE65.6 In Deutschland ist dies derzeit bei schätzungsweise 200 Patienten der Fall.
Bekannt ist heute, dass die Eltern von Betroffenen nicht erkrankt sein müssen, um erbliche Netzhauterkrankungen weiterzugeben.
In einigen Fällen ist die genetische Mutation, die eine erbliche Netzhauterkrankung verursacht, noch nicht bekannt. Es wird jedoch weiter geforscht, um mehr zu entdecken. Gentests können Ihnen helfen herauszufinden, welche Mutation für Ihre spezielle Netzhauterkrankung verantwortlich ist und ob es die Möglichkeit für eine Therapie gibt.
Beispiel USH2A: Ein wichtiges Gen für unser Hören und Sehen – und wie es vererbt wird
Das USH2A-Gen liefert Anweisungen für die Herstellung eines Proteins namens Usherin. Usherin ist ein wichtiger Bestandteil von Basalmembranen, dünnen Schichten, die Zellen in verschiedenen Geweben unterstützen und voneinander trennen. Studien deuten darauf hin, dass Usherin zu einer Gruppe von Proteinen gehört, die eine wichtige Rolle bei der Entwicklung und Erhaltung von Zellen im Innenohr und der Netzhaut spielen.7
Bisher sind mehr als 400 Mutationen im USH2A-Gen bekannt, die zu einer bestimmten Form des Usher-Syndroms führen: dem Usher-Syndrom Typ II, das durch eine Kombination von Hörverlust und Sehverlust in Verbindung mit Retinitis pigmentosa gekennzeichnet ist. 7
Das USH2A-Gen wird autosomal-rezessiv vererbt. Dies bedeutet, dass sowohl die Mutter als auch der Vater ein defektes Gen weitervererbt haben.8
Das Usher-Syndrom ist nicht so selten: In Deutschland leben schätzungsweise 5.000 Betroffene. Das Usher-Syndrom vom Typ II kommt etwa doppelt so häufig vor wie das vom Typ I.8
Hintergrund
Wie werden genetisch bedingte Augenerkrankungen vererbt?
Die Erbinformationen eines Menschen stecken in 46 Chromosomen, langen DNA-Strängen, die sich im Zellkern jeder Körperzelle befinden. Diese DNA-Stränge beinhalten die insgesamt etwa 40.000 Gene, die als bestimmte Abfolgen aus Proteinen alle Bauanleitungen zur Entstehung eines Organismus beinhalten.
Die Erbinformationen werden bei der Entstehung eines neuen Lebewesens vom Vater und von der Mutter in Form eines einfachen Chromosomensatzes an das Kind weitergegeben und vermischen sich in der ersten neu entstandenen Zelle zu einem einmaligen Individuum (siehe Grafik).
Jedes Gen wird auf diese Weise zweimal weitergegeben, sodass jedes Merkmal doppelt vorliegt. Dies ist wichtig zum Verständnis der Entstehung von Erbkrankheiten, denn alle Merkmale können in zwei Ausprägungen vorliegen: dominant oder rezessiv. Dominant bedeutet, dass das Merkmal sich gegenüber einem rezessiven durchsetzen wird. Die Vererbung dieser Ausprägungen nennt man autosomal-dominant bzw. autosomal-rezessiv.
Dieser Zusammenhang betrifft verschiedene Aspekte – vom Aussehen eines Menschen bis hin zur Weitergabe von veränderten oder defekten Genen, die eine Erkrankung zur Folge haben können. Denn häufig wissen Menschen nicht, dass sie Träger eines Gendefekts sind – sie sind selbst nicht erkrankt, das mutierte Gen kommt nicht zur Ausprägung. Der Defekt kann jedoch an das Kind weitergegeben werden.
Autosomal-dominante Vererbung
Bei einer autosomal-dominanten Vererbung reicht die Erkrankung eines Elternteils aus, damit die Erkrankung mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % an ein Kind weitergegeben wird.
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Autosomal-rezessive Vererbung
Rezessive Merkmale treten erst dann zutage, wenn beide Eltern den gleichen Gendefekt aufweisen, der dann beim Kind in Erscheinung treten kann. Erst durch die Weitergabe an das Kind kann sich also zeigen, dass ein Defekt vorliegt, der in der nächsten Generation zur Erkrankung führt.
Bei autosomal-rezessiven Erkrankungen kann es vorkommen, dass das jeweilige Elternteil nicht weiß, dass er Träger eines defekten Gens ist.
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X- oder Y-chromosomale Vererbung
Chromosomal bedeutet, dass sich die krankheitsverursachende Erbinformation auf einem der Geschlechtschromosomen befindet, also auf dem X- oder dem Y-Chromosom. Frauen haben 2 X-Chromosome, Männer 1 X- und 1 Y-Chromosom. Wird eine erbliche Netzhauterkrankung geschlechtsgebunden (X-chromosomal) vererbt, erkranken ausschließlich Männer, während Frauen die Überträgerinnen dieser Erkrankung sind. Allerdings sind Frauen dabei weder selbst erkrankt noch weisen sie massive Beeinträchtigungen des Sehvermögens auf, da bei ihnen das erkrankte Gen von dem gesunden Gen überdeckt wird (rezessiv). Das krankheitsverursachende Gen kann mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % an die Söhne weitervererbt werden. Mutationen auf dem Y-Chromosom spielen für erbliche Netzhauterkrankungen keine Rolle.
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Genetische Begriffe
Die medizinische Sprache ist nicht immer leicht zu verstehen. Deshalb haben wir die wichtigsten Begriffe hier kurz erklärt:
Autosomal: eine Mutation, die sich nicht auf dem X- oder Y- (also auf den Geschlechtschromosomen) befindet.
X-chromosomal: eine Mutation, die sich auf dem X-Chromosom befindet.
Y-chromosomal: eine Mutation, die sich auf dem Y-Chromosom befindet.
Rezessiv: Es müssen 2 Kopien des mutierten Gens vorhanden sein, damit die Krankheit Symptome hervorruft.
Dominant: Eine Kopie der Mutation reicht aus, damit die Erkrankung auftritt.
Träger: jemand, dessen Erbgut eine Kopie einer rezessiven Mutation enthält, aber nicht von der damit verbundenen Krankheit betroffen ist. Ein Träger kann das mutierte Gen an seine Kinder weitergeben.
Und so geht es weiter
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Die Diagnose
Von der Bestimmung der Sehschärfe über eine Augenspiegelung bis zur elektrophysiologischen Untersuchung und dem Gentest.
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Die Expertensuche
Hier finden Sie Experten, die auf die Diagnose von erblichen Netzhauterkrankungen spezialisiert sind.
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Der Arztbesuch
Mit dieser Checkliste haben Sie Ihre Termine und Fragen an den Augenarzt und Humangenetiker stets im Blick.
Quellen:
- Retina international. 2020 http://retina-ird.org/. (Letzter Zugriff: August 2024.)
- Bundesministerium für Bildung und Forschung. Solve-RET. Verfügbar unter: https://www.gesundheitsforschung-bmbf.de/de/fehlende-erbliche-ursachen-fur-genetische-netzhauterkrankungen-12139.php. (Letzter Zugriff: August 2024.)
- Hafler BP. Retina. 2017; 37(3): 417–423.
- Cremers FRP et al. Genes 2018; 9(4): 215.
- Sharif W et al. Int J Ophthalmol 2017; 10(3): 480–484.
- Stone EM et al. Ophthalmology. 2017 Sep; 124(9): 1314–1331.
- Medline plus. USH2A gene. Verfügbar unter: https://medlineplus.gov/genetics/gene/ush2a/#references. (Letzter Zugriff: August 2024.)
- Pro Retina. Usher Syndrom. Verfügbar unter: https://www.pro-retina.de/netzhauterkrankungen/krankheitsbilder/syndrome/usher-syndrom/fakten-zum-usher-syndrom. (Letzter Zugriff: August 2024.)